Seit etwa 6 Jahren liegt mein beruflicher Fokus auf der Entwicklung und Durchführung von R-Workshops / R-Seminaren / R-Kursen. Zeit, über einige Erfahrungen zu reflektieren.
R-Seminare: Wie kam es dazu?
Nach dem Soziologie-Studium und einer kurz befristeten Stelle an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig, wo ich Zusammenhänge von Lebensstilen und Ernährungsverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erforschte, machte ich mich 2007 selbständig. Gute 10 Jahre lang führte ich Datenanalysen für diverse Marktforschungsinstitute durch und betreute nebenbei Studenten und Doktoranden bei statistischen Auswertungen. Schon in dieser Zeit hatte ich gelegentlich Schulungen durchgeführt – die Initiative kam dabei von den Auftraggebern.
Im Laufe der Jahre wurde ich zunehmend unzufriedener mit meiner Tätigkeit. Zum einen erwies sich der Fokus auf SPSS (und, zu einem deutlich geringeren Teil, Stata) als problematisch. Die Software aktuell zu halten, ist für einen Solo-Selbständigen mit hohen Kosten verbunden. Zum anderen, und das wog schwerer, hatte ich Mühe, eine einigermaßen gleichmäßige Auslastung sicherzustellen. Projekte wurden häufig unter Zeitdruck durchgeführt; Anfragen kamen oft in Wellen. Wenn ich ohnehin schon gut ausgelastet war, kamen weitere Anfragen von treuen Kunden, die ich nicht ohne weiteres guten Gewissens ablehnen konnte. Andererseits war phasenweise weniger zu tun, zugesagte Projekte verschoben sich und ich konnte nicht zu meiner Wunschzeit in Projektarbeit einsteigen. Dabei hatte ich es lange Zeit genossen, kaum Akquise machen zu müssen. Ich erhielt viele Folgeaufträge, sodass ich mit einer überschaubaren Anzahl treuer Kunden langfristig zusammenarbeitete.
Schon zu SPSS-Zeiten hatte ich, leider erfolglos, versucht, stärker auf Schulungen zu setzen.
Krise und Neuausrichtung
Ein Wendepunkt war das Jahr 2014. Einerseits privat unvergesslich dank der Hochzeit mit meiner langjährigen Partnerin. Beruflich jedoch breitete sich mehr und mehr das Gefühl aus, in eine Sackgasse geraten zu sein. Ich war unausgeglichen, gereizt, hatte Mühe mich zu entspannen, verdiente auch zu wenig mit der Projektarbeit, um zufrieden zu sein. Im Zuge der notwendigen Neuausrichtung begann ich, neben einigen erfolglosen Bewerbungen und Berufsberatung, R zu lernen. Es war mein zweiter Anlauf: 2007 hatte ich bereits ein von einem Auftraggeber bezahltes Wochenendseminar besucht, das unter der Frage stand, ob wir uns die teuren SPSS-Lizenzen künftig sparen können.
Meine Reaktion auf R 2007:
„Ich möchte diese Software nie wieder öffnen.“
Das war Ende 2014 anders: Ich begann, Feuer zu fangen, und stürzte mich, neben der weiterlaufenden SPSS-Projektarbeit, auf Bücher und Internetquellen, um mehr und mehr in R einzutauchen. Das tidyverse hat sicherlich bei mir – wie bei vielen anderen – wesentlich dazu beigetragen, die Einstiegshürde zu senken.
Erste Schulungen: Erfolg und fuck-up
Etwa Ende 2015 schrieb ich auf dieser Webseite, dass ich ab sofort R-Kurse anbiete. Zu meiner Überraschung erhielt ich innerhalb kurzer Zeit meinen ersten Auftrag: Eine Online-Schulung für eine Einsteigerin. Das war einerseits sehr ermutigend, andererseits war ich noch nicht gerade Vollprofi in R …
Die Projektarbeit ging weiter, nach wie vor überwiegend mit SPSS. Gleichzeitig vertiefte ich 2016 / 2017 meine R-Kenntnisse, teils mit Büchern, überwiegend mit Online-Material und eigenen Datenanalyse-Ideen.
2017 erhielt ich einen lukrativen Firmenauftrag für eine mehrtätige Firmenschulung vor Ort beim Kunden. Ganz im Sinne der Fuckup Nights möchte ich den Fehlschlag nicht verschweigen. Ich warb mit maßgeschneiderten Schulungen mit Kundendaten, um mich von standardisierten Schulungen abzuheben und die Übertragung des Gelernten in den Arbeitsalltag zu erleichtern. Hier handelte es sich um ein sehr technisches Thema einer Hightech-Produktionsfirma. Das Problem waren nicht meine R-Kenntnisse, aber ich brauchte sehr lange zur Fertigstellung der Schulungsunterlagen. Dabei verpasste ich es im Zeitdruck, mit dem Kunden über die zur Verfügung gestellten Daten zu sprechen. So kam es, dass einige Beispiele inhaltlich unsinnig und somit wenig überzeugend waren. Eine weitere Schwäche: Am letzten Tag konnte ich die Zeit nicht ganz füllen.
Was habe ich daraus gelernt?
- Gute Abstimmung im Vorfeld hilft! Es mag zwar bequemer erscheinen, „mein eigenes Ding“ zu machen. Doch Kunden schätzen passgenaues Material, und mir macht es mit besserer Abstimmung auch mehr Spaß – auch wenn es Mehraufwand im Vorfeld bedeutet. Das gilt sowohl für technische Voraussetzungen als auch für Inhalte.
- Reichlich Zeit zur Vorbereitung einplanen. Schulungen aus vorbereitetem Material anzupassen ist einfacher, als Material komplett neu zu erstellen.
- Mehr Material vorbereiten, als die Seminarzeit hergibt. Ich habe immer „Bonusmaterial“ dabei, das ich nie komplett brauche. Oft kam aber das Gespräch im Seminar auf bestimmte Sonderthemen; dann ist es klasse, etwas zeigen zu können.
2018: Der Schritt zum Vollzeit-R-Trainer
Die Übergangszeit zwischen Datenanalyse-Projektarbeit und ersten Schulungen empfand ich als herausfordernd. Mir wurde klar, dass die Schulungen einen starken Fokus erfordern. So wagte ich den Schritt, nach und nach Projekte von bisherigen Stammkunden abzulehnen und den Wechsel meines Angebots klar zu kommunizieren. Das erforderte Mut, fühlte sich aber richtig an. Der Umstieg wurde mir erleichtert von zwei IT-Schulungsanbietern, die meine Kurse in ihr Seminarprogramm aufnahmen. So konnte ich mich auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren und musste mich nicht so sehr um Werbung und Akquise kümmern.
Kurz nach der Entscheidung, ganz auf die R-Schulungen zu setzen, gab es jedoch einen schwachen Moment. Einige angekündigte, beworbene Schulungen kamen mangels Buchungen nicht zustande. Ein alter, sehr sympathischer Kunde fragte mich für eine Excel-VBA-Programmierung für seinen Firmenkunden an. Ich war von Anfang an etwas skeptisch, ließ mich jedoch überreden und brauchte ja auch Aufträge. Das Projekt entwickelte sich zu einem Musterbeispiel für einen Freelancer-Albtraum. Es musste ein Festpreis-Angebot sein; es gab eine ganze Reihe von Detailwünschen, die für mich vorab nicht abschätzbar waren und zu höherem Aufwand als erwartet führten (ohne dass ich sie hätte ablehnen können). Als es um die Fertigstellung ging, verließ die Ansprechpartnerin beim Endkunden die Firma. Nur mit Mühe konnten wir das Projekt schließlich fertigstellen. Im Nachhinein hätte ich die Zeit weitaus besser für die Entwicklung weiterer R-Schulungen verwendet.
Die größte Überraschung: Als Wessi entlarvt!
Die größte Überraschung seitens einer Teilnehmerin erlebte ich, als ich völlig unvermutet beim Runden (!!) als Wessi entlarvt wurde.
R-Seminare in der Pandemie ab 2020
2019, mein zweites Jahr nach der Entscheidung, voll auf R-Kurse zu setzen, lief deutlich besser als das bereits zufriedenstellende Jahr 2018. Ich verbrachte viel Zeit in Zügen und Hotels, schulte neben den Präsenzseminaren in Dresden unter anderem in Hannover, Offenbach, Köln, Berlin (mehrfach) und Nürnberg (mehrfach). Im März 2020 war damit plötzlich Schluss. Ich hatte das Glück, dass meine Arbeit sehr einfach auf online umzustellen war – so konnten auch einige bereits als Präsenzveranstaltungen gebuchte Kurse zum geplanten Termin stattfinden. Mit dem Online-Format fühlte ich mich von Anfang an wohl. Der Verzicht auf Reisen brachte erheblichen Zeitgewinn mit sich, bei allen Corona-bedingten Einschränkungen. Im Sommer 2020 gab es eine interessante Hybridveranstaltung in Hannover: Live-Teilnehmer mit großen Abständen, eine Plexiglaswand vor meinem Trainerplatz, Videoteilnehmer im Nachbarraum sowie im Home Office. Klappte gut und machte Spaß!
Natürlich geht beim Online-Format auch etwas menschliche Begegnung verloren, zum Beispiel lockerer Austausch beim Mittagessen oder in den Pausen. Eine etwas seltsame Erfahrung war eine Schulung mit rund 40 Teilnehmern (das ist in meinem Bereich ungewöhnlich viel, meist sind es zwischen 1 und höchstens 15 Teilnehmende), davon etwa die Hälfte in China. Hier war der Anteil derjenigen, die die Kamera ausgeschaltet ließen, ungewöhnlich hoch. Von vielen erhielt ich während mehrerer Kurstage praktisch gar keine Lebenszeichen, auch der Chat wurde nur spärlich genutzt. Eingeschaltete Kameras helfen sehr dabei, abzuschätzen, ob das Gesagte ankommt. Auch ein wortloses Lächeln ist so viel mehr Wert als unsichtbares Schweigen.
Seit Aufhebung der Corona-Maßnahmen haben viele Seminare weiterhin online stattgefunden.
Ausweitung des Angebots, Herausforderungen
Im Laufe der Jahre habe ich mein Angebot kontinuierlich ausgebaut – teils aus eigener Initiative, teils nach Durchführung kundenspezifischer Agenden. Begonnen hat es mit „Datenvisualisierung mit R und ggplot2“ und „Einführung in R“ – letzterer ist der meistgebuchte Kurs.
Eine große Herausforderung besteht darin, Kurse aktuell zu halten. Einige Zeit lang hielt ich einen gut gebuchten Kurs „Machine Learning mit R“, der auch gute Feedbacks erhielt, jedoch auf dem älteren caret-Paket beruhte. Nach einer Weile, als die Paketsammlung tidymodels an Popularität gewann, gab ich den Machine Learning-Kurs auf. caret konnte ich nicht mehr guten Gewissens anbieten, während tidymodels so dynamisch weiterentwickelt wurde, dass ich in kurzen Abständen den Kurs hätte überarbeiten müssen; zudem führe ich keine eigenen Machine Learning-Projekte durch, sodass ich das Thema bis auf weiteres lieber Spezialisten überlasse.
Ähnlich wie mit caret und tidymodels ging es mir auch mit RMarkdown. Der Kurs zur Berichtserstellung mit R und Markdown war mit der Veröffentlichung von Quarto 2022 ebenfalls veraltet. Inzwischen habe ich den Kurs auf Quarto umgestellt.
Den Einführungskurs habe ich mehrfach überarbeitet. Ich habe immer wieder über das Verhältnis zwischen Base R und tidyverse nachgedacht. Ich stehe dazu, einige Base R-Funktionen zu zeigen. Die Indizierung mit eckigen Klammern etwa sollte jeder R-Anwender kennen. Inzwischen habe ich den Base R-Teil jedoch gekürzt und wechsele früher im Kurs zum tidyverse; nach meiner Erfahrung ist das Seminar nun noch unterhaltsamer und motivierender.
Ein dreitägiger Fortgeschrittenenkurs wurde anfangs (2020, 2021) sehr regelmäßig gebucht, später kaum noch. Inzwischen habe ich ihn in Module aufgeteilt, die separat gebucht werden können:
- Funktionales Programmieren mit R – mit einigen Besonderheiten, die R von anderen Programmiersprachen unterscheiden
- Effiziente R-Programmierung – R-Code beschleunigen
- Eigene R-Pakete entwickeln
Präsentationen: Weg von Powerpoint
2022 erstellte ich alle Präsentationen komplett neu: Endlich direkt in R, weg von Powerpoint, hin zu RMarkdown und dem xaringan-Paket. Inzwischen erstelle ich Präsentationen auch mit Quarto. Live im Seminar zeige ich HTML-Varianten, die gegenüber Powerpoint den Vorteil interaktiver Elemente wie Grafiken mit Mouse-Over-Effekten (etwa mit plotly, highcharter, leaflet anderen HTML-Widgets) oder sortier- und filterbare Datensätze (mit DT::datatable, nicht zu verwechseln mit dem data.table-Paket) bieten.
Nun kann ich einfacher zwischen verschiedenen Stilen (etwa für verschiedene Schulungsanbieter oder bei Direktbuchungen) wechseln, ohne Folien manuell nachzubearbeiten. Weiterer Vorteil: Dank R-Code kann ich Folien leichter aktuell halten. Beispiel: Beim Einsteigerkurs wird auf einer Folie meine R-Version angezeigt. In Powerpoint musste ich hier manuell aktualisieren – nun ist es ein R-Befehl, der die aktuelle Version beim Erstellen der Präsentation einträgt. Auch Beispiele für Datums- und Zeitfunktionen können das aktuelle Datum verwenden und sind dann nicht versehentlich zu veraltet.
6 Jahre R-Kurse in Zahlen
In den 6 Jahren konnte ich viele Erfahrungen sammeln. In Zahlen:
- Einführung in R: über 30x gehalten; mehrfach überarbeitet
- Datenvisualisierung mit R und ggplot2: über 10x gehalten
- Machine Learning und Data Mining mit R: ca. 8x gehalten
- R-Programmierung für Fortgeschrittene (3 Tage): ca. 12x gehalten
- Ergebnisse berichten mit R: ca. 6x als Spezialseminar gehalten; Thema ist Bestandteil der Einführungs- und vieler Fortgeschrittenenkurse mit variabler Detailtiefe; umgestellt auf Quarto
- Shiny – Interaktive Webapplikationen mit R: 2x gehalten (seit 2023)
- Datenvisualisierung mit R für Fortgeschrittene: 2x gehalten (seit 2023)
Mit etlichen sehr kundenspezifischen inhouse-Schulungen komme ich inzwischen insgesamt auf über 100 R-Seminare, die Mehrheit davon mehrtägig.
Weitere Pläne
Ich wende sehr viel Zeit auf, um bei R am Ball zu bleiben, insbesondere durch die Lektüre von Newslettern: RBloggers und RWeekly. R macht mir nach wie vor viel Spaß und ich erhalte sehr positive Feedbacks. Jedoch kann ich mir auch gut vorstellen, Themen anzubieten, die etwas länger haltbar sind. Daher arbeite ich an software-unabhängigen Schulungen zur Datenkompetenz. Bisher gibt es eine, wie ich hoffe, recht kurzweilige halbtägige Schulung „Statistik entzaubert“. Das möchte ich ergänzen mit einem software-unabhängigen Workshop zur Datenvisualisierung, etwa mit „Lernen aus schlechten Beispielen“ und Tipps und Tricks zum Storytelling mit Daten.
Stay tuned!
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